Weil die letzten Einträge hier (auch) um das Thema der Kindheit kreisten und Andreas Maier in seinem Buch «Das Haus» von eben jener Zeit erzählt, soll an dieser Stelle meine Einführung in sein Werk sowie die Einladung zur Lesung publiziert werden.
Auf zahlreiches Erscheinen freue ich mich!
Einführung Andreas Maier: «Das Haus». Martin Meier für die camera.lit.obscura 24. 6. 2012
Wie Sie dem Einladungstext entnehmen, bleibt uns nur die Sprache, um die Wunde, die uns seit der Vertreibung aus dem Paradies geblieben ist, zu heilen. So ist denn Sprache Ausdruck unserer Bewusstwerdung und dieses wiederum zentrales Motiv in der Literatur von Andreas Maier. In seinem aktuellen Roman «das Haus» – aus dem er heute liest – wird deutlich, dass das Paradies aber nicht in der Kindheit gefunden werden kann, doch dazu später mehr.
«Wenn sich ein Autor mit einem Buch hervorwagt, so setzt er sich ohne Zweifel aus, aber nicht, weil die Poesie sich aussetzt; eher schon, weil der Künstler sich aufzwingen will, mehr noch aber deswegen, weil der Künstler nicht ‚zu sich’ käme, wenn er nicht mit seinen sprachlichen Regungen aus sich ‚heraus’ fände …»
Meine Damen und Herren, dieses Wortspiel findet sich in Peter Sloterdijks Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Sie sind 1988 erschienen unter dem Titel «zur Welt kommen, zur Sprache kommen» und ebendiese führt bei Sloterdijk zu Zeichenweltkunstwerken. In einem Nebensatz sagt der süddeutsche Philosoph dann, er lasse die Frage offen, wohin einer kommen könne, der sich in diesem Sinne aussetze. Eine Vermutung meinerseits: es kommt wohl auf das Gegenüber an. Ein Beispiel: Im Roman «Sanssouci» von 2009 schreibt Andreas Maier, Potsdams Alkoholiker am Luisenplatz beobachtend:
«Niemand musste entscheiden, ob er dem anderen Glauben schenken sollte oder nicht, weil ohnehin die ganze Welt unterging in jener Daseinsmelodie vom Luisenplatz, die Zeit und Raum ebenso aufhob wie die Frage, ob etwas zutraf oder nicht. Hier war Sprache, was sie von jeher bloss war: Sprache. So versammelte sich die ganze Welt im Singsang auf dem Luisenplatz, alles wurde verhandelt, und nichts geschah …» 272
Gegen eine solche Seinsvergessenheit schrieb der französische Phänomenologe Gaston Bachelard in seinem Buch «Poetik des Raumes» 1957 an: «Irgend etwas muss die Erinnerungen hüten und ihnen dabei ihre Werte als Bilder bewahren.»32 Dieses Kapitel ist überschrieben mit «der Sinn der Hütte». Nach Bachelard trösten wir uns, indem wir Erinnerungen an Geborgenheit nacherleben: «Sonst wäre der Mensch ein verstreutes Wesen.» 33
Macht Andreas Maier in «das Haus» nicht genau das? Er erzählt sozusagen aus seinen Kindheitsräumen. Kramt Erinnerungen aus seinem Gedächtniswinkel, benennt, grenzt ab, ordnet neu und findet sich unverhofft wieder in jenem ganz besonderen Raum: der Werkstatt seines Bruders. Dort kann sich das Kind stundenlang dem Modellbau widmen und sich so seine eigene Welt erschaffen. Vielleicht ein frühes Zeichen dafür, dass dies später mit Worten geschehen wird? Andreas Maiers Blick zurück bleibt überwiegend distanziert. Analytisch ist seine Sprache, ohne aber den Sinn für eine gewisse Form von Witz – manchmal kann man diesen auch Zynismus nennen – zu verlieren. Auch scheinen manchmal wie aus dem Nichts – das Kind würde sagen: wie durch ein Wunder – Passagen von starker poetischer Leuchtkraft auf. Das Magische der Kindheit bleibt erhalten, wenn auch nur sehr, sehr kurz.
Das erste Mal, dass ich von Andreas Maier gelesen habe, war in einem Artikel aus der ZEIT: «Auf der Suche nach dem, was wir sind» war diese eine grosse Seite überschrieben. Andreas Maier erzählt dort, wie er während des Anschlags auf das World Trade Center gerade mit einem Schriftstellerfreund in einem Boot auf dem Comer See sass, und sie darüber sprachen, dass es für einen Menschen oder eben einen Autoren schon sehr viel sei, «wenn er zwei Dinge habe: ein Leben und ein Werk. … Ein Leben, das sich im Schreiben selbst erarbeitet, das sich im Arbeiten am Wort selbst erschreibt.» Es scheint mir heute, als ob dieses Credo im aktuellen Buch wieder aufgenommen wurde: Mit «Das Haus» beginnt Andreas Maier dort, wo man gerne mit Beginnen anfängt. Zuerst Drinnen, dann Draussen, in Wechselseitiger Beeinflussung. Der Stoff des Buchs ist im wortwörtlichen Sinne radikal, in dem es das Leben an der Wurzel, radix, packt. Oder, um es mit den Worten des Autors zu sagen: «Um hinter die Dinge sehen zu können, braucht es ein Leben, das sich seine Worte erarbeitet, und es braucht ein gewachsenes Werk.»
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