Montag, 11. Juni 2012

strukturiertes, spektralfarbenes Spektakel

Seit längerem stelle ich mir die Frage, weshalb die Flügel in Engelsdarstellungen alle erdenklichen Farben zeigen. Zuerst dachte ich, es habe mit der Schifffahrt zu tun und den wunderlichen Mitbringseln aus fernen Ländern, wie zum Beispiel Papageien oder Pfauen. Exzessiv bunte Engelsflügel gibt es aber bereits vor Christopher Kolumbus' maritimen Erkundungen.


 
zwei Arten der Farbgestaltung: malerisch bei Raffaels «Madonna von Foligno» 1511/12 und analytisch in P. Cavallinis Fresko des Jüngsten Gerichts um 1300. Scans aus «Himmlischer Glanz – Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna» Prestel 2011 
  
Eingangs stellt sich eine Frage ganz besonders: Kann man sich heute noch ernsthaft über Engel unterhalten? Die Gottesboten scheinen seit zehn Jahren derart in die New-Age-Sphäre eingemeindet worden zu sein, dass eine Bildanalyse sich begrifflich zurückhalten muss, will sie nicht im luftleeren Raum enden … Wie also diese Phänomene greifbar machen?
Beginnen wir mit etwas weniger ätherischem, mit etwas, das mehr Substanz hat: Stoff.

dieses und alle kleineren Bildausschnitte stammen aus der TV-Serie «Palettes» von Alain Jaubert, im speziellen  über Matthias Grünewald und den Komplex des Isenheimer Altars.

Das Tuch des Geigers zeigt ebenfalls alle Farben auf einmal. Wie die Engel Gottesboten sind, so stellt die Musik ein himmlisches Geschenk dar. Hier kommt es in Changeant-Stoff verpackt daher. Bei dessen Webtechnik weisen der Kett- und der Schussfaden unterschiedliche Farben auf und je nach Winkel des Lichtes wird eine andere Farbe, oder eben mehrere davon reflektiert. Grünewalds Tuch und dessen Form erinnert uns Heutige vor allem an das perlmutterne Innenleben von Muscheln.

Stickerei auf einem Priestergewand um 1900, gesehen in der aktuellen Ausstellung «Herrlichkeiten» im Textilmuseum St. Galle(unbedingt mit dem kleinen Katalog durch die Räume schlendern!) 

Das folgende Buch beschreibt dann auch eine andere Möglichkeit für die Farbverläufe: Ein bildimmanentes Ordnungsprinzip.



Walter Seitter macht darauf aufmerksam, dass Piero della Francescas Farbabstufungen im Flügel ganz links die im Bild «die Taufe Christi» aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verwendeten Farben aufnehmen (bzw. spiegeln): Oben grün für den Baum, in der Mitte Fleischfarbe für das Inkarnat Christi und unten blau für das Taufwasser. Seitter meint: «in der langezogenen Flügelspitze wird der Himmel abgebildet.» (Seite 25) um gleich darauf mit dem Satz «hier scheinen die Dinge komplizierter zu liegen» den Gedankengang abbricht. Weiter oben spricht Seitter vom Grün als einer «Strukturfarbe», die sich aus der physiologischen Mischung von Gelb und Blau ergibt – hier wird dieser bereits im Changeant-Stoff angetroffene Effekt anhand von Schmetterlingsflügeln erklärt.

Farberscheinungen haben ihren Ursprung also im Licht, ihre Wirkung findet im Auge des Betrachters statt. Der Maler hat es an dieser Stelle gleich doppelt schwer – warum integriert Francesca die Farben der Landschaft zusätzlich in die Flügel? Betrachten wir hierfür zwei Seiten aus dem sehr schön gemachten Buch des französischen Philosophen Georges Didi-Huberman.



    

Was Didi-Huberman uns hier zeigt, sind marmi finti, in vier Felder gegliederter, künstlicher Marmor. Dessen Technik «in die Tradition einer, wenn man so sagen darf, 'tachistischen' Malerei gehört, welche die unendlich variationsreichen Flecken und Äderungen nachahmt». Sie befinden sich unterhalb des um 1450 gemalten Freskos «Die Madonna der Schatten» im Kloster San Marco in Florenz. Auch sie zeigen das gesamte Farbspektrum.

Federn malen, Steine malen, doch warum so umständlich? Weiss und grau hätten es auch getan … Zwischen 1512 und 1516 stellt Grünewald  das Gewand des Auferstehenden – Jaubert nennt ihn «eine Inkarnation reinen Lichts» – in aller Farbenpracht dar:






Jaubert geht auch darauf ein, dass die blaugrün umrandete Mandorla Christi auf Blendungsphänomene wie sie in der Natur auftreten, hinweist; deren Integration also theoretische Überlegungen voraussetzt.

In der kürzlich erschienenen und sehr empfehlenswerten Broschüre «Lichtgefüge» liest man im Essay «Licht: Licht-Macht und Macht-Licht» von Thomas Leinkauf: «Als produktive Kraft ist Licht … verstanden worden als Formkraft, Wirklichkeit-erschliessende Aktivität, Farb- und Formmannigfaltigkeit 'offenbarende' natürliche Grösse – die daher in der Tradition des Denkens immer auch eine theologische Konnotation besass: Licht ist direkter Ausdruck von Theophanie, dem Erscheinen Gottes.» (S.42)


Zurück zu den marmi finti (die übrigens von A. Gaddi in seiner Verkündigung bereits 1395 eingesetzt worden sind): sie sind reine Malerei, genauso wie die in Farbflächen aufgefächerten Flügel reine Malerei sind (in Angelicos zweiter Szene der «Panele des Armadio degli Argenti» wird die schmetterlingsartige Flügelgestaltung zum colorfield painting). Was erblickt wird, ist nicht Stein, sondern Farbspuren: «wir gehen dann von der einen Unähnlichkeit zu einer anderen über – von der jedes Anblicks gegenüber dem Göttlichen zu jener der reinen Farbe gegenüber jedem Anblick –, um sich dem Bild zu nähern.» (Seite 56) 

Im 2009 bei diaphanes erschienenen «Der Mensch, der in der Farbe ging» über James Turrells Kunst beginnt Didi-Huberman mit dem Exodus durch die Wüste, dem monochromen sandfarbenen Feld, das den Menschen lange umgab und das vielleicht dazu führte, dass im Jahre 1105 in Venedig «der Doge Ordefalo Falier das antependium, das heisst die Front des Hauptaltars erneuern (lässt). Er bestimmt, dass es ganz aus Gold sein solle.» (Seite 15) «Wenn man den Raum der Basilika als ungeheure rituelle Installation versteht, kann man sagen, dass im Mittelalter der Altar den Brennpunkt … bildet, den hervorstechendsten visuellen Ort, den prägnantesten symbolischen Ort.» (16)

In Carolin Bohlmanns Essay «Maltechnische Aspekte der Lichtmalerei» wird Didi-Hubermans Ansatz fortgeführt: «Der wichtigste Wirkraum der weitgehend christlich geprägten mittelalterlichen Malerei ist der Kircheninnenraum, der etwas Licht von Aussen empfängt, häufig aber mit Kerzenlicht beleuchtet wird. In diesem Kontext muss die Goldgrundmalerei bedacht werden. Das Gold des Goldgrundes wird in der mittelalterlichen Bildvorstellung im Rahmen der Ausstrahlung des Göttlichen bis auf den Betrachter gesehen. Nach dieser Vorstellung ist das Licht im Gold bereits enthalten.» (S. 10)

Ein solcher Betrachter scheint immer schon im Licht zu sein, während in der Neuzeit das Licht ausserhalb des Bildraumes das Gemalte erhellt.


auch der Regenbogen für Noah wird nach der Sintflut als wohlwollendes Zeichen Gottes verstanden (Detail aus Grünewalds «Stuppacher Madonna» von 1516)

Wenn nun bei Mariendarstellungen Regenbogen auftreten,  verweist dieses gebündelte Licht immer auch auf Marias Funktion als Gefäss Christi (Marius Rimmele schreibt Eindrückliches darüber in «Das Tryiptychon als Metapher, Körper und Ort»). Der Körper der Jungfrau bleibt unversehrt, wie das Glas, durch das ein Lichtstrahl dringt. Was auch die Verwendung farbigen Glases in Kirchenfenstern seit der Zeit gotischer Kathedralen erklärt.
Jaubert kommentiert: «Der Regenbogen war für den mystischen Maler vielleicht ein Zeichen des Himmels. Das Zeichen, das ihm die Reihenfolge der Farben vorgab, in die er seine Pinsel tauchen sollte, das ihm zugleich die Gewissheit verschaffte, dass für ein Maler das göttliche Licht das einzig anzustrebende Ziel ist.» 

   

Erklärt das von Aussen kommende Licht aber auch die Aura dieser Taube auf dem Isenheimer Altar? Gott ist Licht. Engel leuchten nie aus sich heraus. Ihre Flügel sind das göttliche Attribut, ihr Tun – die Worte, ihre Musik – sind hingegen bereits für diese Welt übersetzte Bestandteile des Göttlichen (Engel selbst sind Medien, Mittler). 

Chardin schien diese Erkenntnis auf sein Federball spielendes Mädchen von 1741 übertragen zu haben. Wie im vorhergehenden Eintrag bereits beschrieben, verfliegt die Zeit beim Spiel wie im Nu. Man muss sich nur einmal den shuttle genauer ansehen und man begreift sofort Walter Seitters Diktum, Chardins Mädchen sei der letzte Engel der Kunstgeschichte. 



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