an der «ringvorlesung der privatdozierenden 2011» zum thema körper sprach an der uzh heute christina vogel überzeugend entlang paul valérys theorie der hand. ich möchte in diesem eintrag ihre erkenntnisse zusammenfassen, mit einem text von jacques derrida kurzschliessen und mit einer betrachtung des potenzials der hand heute (und also der zeichnung – soviel sei bereits vorweggenommen) schliessen.
rückseite des handout (notizen von mir)
wir kennen also diese zeichnungen aus den cahiers. besitzen sie nicht eine ganz eigene qualität? und: legen sie etwas dar? heissen sie jemanden willkommen? bestimmt gibt es weitere (man kann ja mal suchen). in der ausgabe «ich grase meine gehirnwiese ab» – in der anderen bibliothek im mai 2011 – waren auf jeden fall keine zu finden.
gegen ende der vorlesung fiel mir auf: warum zeichnet valéry nicht seine eigene hand? oder hat er einen spiegel benutzt? falls nicht: wer war sein modell (christusdarstellungen von da vinci und caravaggio)? nicht ungewichtige überlegungen…
caravaggio: «gastmahl in emaus», 1601
zusammenfassung der these
«was kann ein mensch?» diese leitfrage beschäftigte valéry sein gesamtes leben lang. christina vogel zeigte anhand von acht zitaten aus den cahiers valérys zunehmende zweifel an seinem projekt der selbsterschliessung nach dem ende des zweiten weltkrieges auf. das früheste zitat (1903/05) diente vogel als titel: «tout ton effort ne tend-il pas à te mettre tout entier dans le creux de ta main? je suis par moments – dans le creux de ma main. si je n'y puis tenir – il n'y a pas de science…»
wenn man nichts mehr halten kann, gibt es also keine wissenschaften. valéry entwirft entlang der figur des gladiatoren ein programm von selbstbeherrschung und selbstdisziplinierung: «gladiator – l'obéissance. la tenue en main, la conaissance des réactions de l'animal sensibilité.» man muss nur wollen – denken wollen!
so wird die disziplin zum leitmotiv: «mais qui soit penseur comme on est danseur, et usant de son esprit comme celui-ci de ses muscles et nerfs.» dazu vogel: «valéry war nie der cartesianer, zu dem die letzten jahrzehnte ihn stilisierten. er dachte stets vom körper aus: corps, esprit und monde kürzte er oft zu cem ab – was ein modell war für ihn.»
die hand hat modellcharakter. als organ vermag sie mit ihrer beschränkten anzahl glieder eine unendliche anzahl aktionen auszuführen. doch man verliert die kontrolle, valéry erlebt seine hand zunehmend als von ihm getrennt. sie dient ihm nicht mehr. phänomene der modernen wissenschaft sprengen das aufnahmevermögen der mulde in der hand: elektronen werden zwar benannt, können jedoch nicht begriffen und somit nicht kontrolliert werden; die hand ist zu klein.
und die hand, l'instrument initial, wird isoliert, abgetrennt, exkarniert. es bleibt valéry das frühmorgendliche kaffeetrinken, zigarettenrauchen und dazu cahier-schreiben, von fünf bis sieben. jeden tag neu bei sich ansetzen. vogel: «die hand bleibt schreibinstrument: ohne hand keine mentale gymnastik.» dabei hatte valéry ja bereits die rettende idee: er zeichnete doch!
zeigen: zwischen sprechen und zeichnen
zeichnen ist mit dem (blei)stift denken und vor allem ist es selbstreflexives denken (die performanz der gedanken in striche übersetzt). warum zeichnete valéry nicht die eigene hand? ist sie nicht zeichen (derridas monstre) der eigenen erfahrung? doch was soll einem die eigene hand schon zeigen? valéry erlebte sie ja als von ihm getrennt. und schweben die gezeichneten hände nicht im luftleeren raum? vereinzelte organe / vereinsamte organe? zeigen steht immer in bezug zu einem dritten.
um zu demonstrieren wie hände zeigen, folgt eine ausführliche zitation aus jacques derridas «heideggers hand (geschlecht II)».
«'nur ein wesen, das spricht, d.h. denkt, kann die hand haben und in der handhabung werke der hand vollbringen.'* die hand des menschen wird vom denken, dieses jedoch vom sprechen oder von der sprache aus gedacht. das ist die anordnung, welche heidegger der metaphysik entgegen setzt: 'doch nur insofern der mensch spricht, denkt er; nicht umgekehrt, wie die metaphysik es noch meint.'
der wesentliche moment dieser überlegungen schafft eine öffnung hin zu dem, was ich die zweifache berufung (vocation) der hand heissen werde. ich bediene mich des wortes der berufung, um ins gedächtnis zu rufen, dass – seiner bestimmung* nach – diese hand das sprechen/wort hält, diese hand auf das sprechen/wort wert legt. … 'allein das werk der hand ist reicher, als wir gewöhnlich meinen. die hand greift und fängt nicht nur, drückt und stösst nicht nur. die hand reicht und empfängt … , und zwar nicht nur dinge, sondern sie reicht sich und sie empfängt sich in der anderen. die hand hält, die hand trägt.'»
was macht also die hand? sie zeigt jemandem. derrida weiter:
«dieser übergang von der transitiven gabe, wenn man das so sagen kann, zur gabe dessen, was sich gibt, was sich selbst als geben-können gibt, was die gabe gibt, dieser übergang von der hand, die sich gibt, ist offensichtlich entscheidend. wir finden einen übergang vom selben typus oder von der selben struktur im folgenden satz wieder: nicht allein die hand des menschen gibt zeichen und zeigt, sondern der mensch selbst ist ein zeichen (signe) oder ein zeichen/monstrum (monstre), und damit werden, auf der folgenden seite, zitat und interpretation von mnemosyne (d.h. hölderlins erster entwurf des gleichnamigen gedichtes; siehe nächster absatz) in gang gebracht. 'die hand zeichnet, vermutlich weil der mensch ein zeichen ist.' … alles werk der hand beruht im denken. darum ist das denken* selbst das einfachste und deshalb schwerste hand-werk des menschen … .»
ein zeichen sind wir, deutungslos
schmerzlos sind wir und haben fast
die sprache in der fremde verloren
doch die hand tröstet. laut duden stammt das wort aus dem mittelhochdeutschen (althochdeutsch trōst, zu treu) und meint eigentlich (innere) festigkeit. mit valéry und derrida/heidegger können wir abschliessend zu recht behaupten: das ist die gabe der hand – sich selbst geben; zeichen setzen.
und zeichnen wird somit zum prähistorischen bildgebenden verfahren avant la lettre. heute – am eeg angeschlossen – hätte man doch genauso seine liebe mühe damit, sich selber beim denken zuzusehen – man würde das beobachten beobachten. man würde sich selbst kurzschliessen und hermetisch im kreis sich drehen. es braucht den anderen als spiegel, als geschlossene oberfläche.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen