Sonntag, 17. April 2011
Erlösungsgedanke II
Detail aus Bartolomeo Montagnas «Kreuztragender Christus» 1515
Im zweiten Teil steht nun also der «Kreuztragende Christus» von 1515 im Zentrum. Auf den ersten Blick ist er das exakte Gegenteil der in Teil I bereits besprochenen «Weissen Gans», nämlich ein Schwarzes Loch. Über diese Oberflächenspannung (auch: Anziehungskraft ersten Grades) hinaus, weist dieses Bild aber in die Tiefe. Welcher Tricks bediente sich Montagna, um zu dieser revolutionären Darstellung zu gelangen?
Drei Zeiten
Wir beginnen den Rundgang durch die Lebenswelt der «Alten Meister». Die folgenden Räume des Kunsthauses zeigen religiöse Szenen, allesamt entstanden zwischen 1400 und 1600. Diese Reise ist eine dramaturgische, war doch das Mittelalter keinesfalls dunkel: In Gold getränkt behaupten sich die Geschichten, der Schatten ist auf diesen durchgängig blendend-bunten Bildern kaum auszumachen. Es folgt eine Lücke niederländischer (Landschafts-) Malerei, bevor wir zu Raum 8 und somit zu Montagna und zeitgenössischen Bildern ab 1500 gelangen; Raum 8 ist wohl der dunkelste Raum im Kunsthaus Zürich überhaupt.
Die Anschaffung von Montagnas Kreuztragendem 2002 wird von der «Vereinigung Zürcher Kunstfreunde» folgendermassen begründet: Es sei «ein Werk, das wichtige mittelalterliche Traditionen zusammenfasst und in der Sammlung des Kunsthauses die spätgotischen Tafeln und die Spätphase der italienischen Barockmalerei hervorragend verbindet.» Deswegen die Schlaufe zu Saal 9. Zu den «Special Effects der Malerei» (C. P. Braegger), derer sich Montagna hundert Jahre früher bereits bediente.
Doch nicht zu schnell: Was bei Montagna spätgotisch genannt werden kann ist das Kreuz mit seiner realistischen Maserierung; der Stoff, der nur zu schön wiedergegeben wird (ähnlich Konrad Witz' Drei f a l t igkeiten des Bewusstseins). Doch was passiert überhaupt? Das Kreuz bestimmt die Komposition, macht aus dem Quadrat des Bildes ein Dreieck (zum zweiten), macht aus dem Tragenden einen Statiker (ohne 90°-Winkel, der Querbalken schneidet den Längsbalken mit 88°) – Christus als Balance-Akteur. Was aber das Wichtigste ist: Der lange Pfosten verhindert ein Weiterkommen traditioneller Art von links nach rechts; Was für eine Inszenierung! Hier wird nicht geschleppt, es wurde nicht gepeitscht. Dies alles mutet ganz und gar nicht mittelalterlich an, auch nicht ausgehend… Das Leid fehlt, der Schmerz wird reduziert auf drei (zum dritten) Blutstropfen auf der Stirn.
Drei Achsen
Das Kreuz beschreibt die erste Achse. Es sind psychische Achsen und es sindderen drei. Das Kreuz trennt den Statisten von seiner Vergangenheit. Die zweite Achse der Bildkomposition bildet der Rücken des Kreuztagenden, der in seiner Verlängerung als Hals zum Kopf und damit zum Blick führt. Warum schaut er mich an? Wurde damals auf Bildtafeln angeschaut? Natürlich nicht, das Ereignis hatte im Bild Statt, überall! Durchmessen sie die Räume erneut, aus denen wir gekommen sind. Die Geburt des Blicks – das wäre ein weiteres Thema – Montagna verlagert das Geschehen durch diesen Blick Christi hin zu uns. Was soll Gegenstand dieses Blicks sein, der so ganz unbeteiligt scheint? Will er uns konfrontieren? Will er uns befragen?
Sehen wir zum Arm, der dritten diagonalen Achse und gleiten zur Hand. Zur Hand, die nur allzu locker das Kreuz umfasst. Die Hand von Bartolomeos Christus ist eine ruhende. Könnte man mit Derrida nicht sagen, es sei eine monströse Hand («Heideggers Hand, Geschlecht II», 1985), eine zeigende, keine (um)klammernde, oder gar packende Hand? Wohin weist der Kreuztragende mir den Blick mit seinem Zeigefinger? Denn er zeigt mir etwas, nimmt vorweg, ein Ereignis aus der Zukunft. Sollen wir Christus folgen (imitieren, als «imitatio christi»), wie lautet das Gebot?
Der Meister Andrea Mantegna als Perspektiv-Extremist verkürzt 1490 die Achse des Toten, wie dies vorher nie der Fall war. Sein Schüler Montagna wählt die gegenläufige Strategie: Weg vom Körper weist seine Christusdarstellung, ins meta-physische. Mantegna behauptet «skulpturale Kraft». Montagna setzt das Ereignis nicht in Szene, sondern verlegt es in den Betrachter, der kompositorisch – kaum wahrnehmbar – in der verlängerten dritten Achse – parallel zu Kreuz und Kopf – den Berg erahnt. Bartolomeo Montagnas Christusbild verlängert die Blickachse nach Golgatha, zur «Stätte des Schädels». Montagna schliesst mit seinem Kreuztragenden den Kreis.
Transskript der Bildbetrachtung «Kunst über Mittag» am 12. und 19. 4.
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