Dienstag, 9. November 2010

Alchemie (Kunst & Kochen)


aus dem Buch "Ein Tag im elBulli – Einblicke in die Ideenwelt, Methoden und Kreativität von Ferran Adrià", Phaidon 2009


Kunst und Kochen sind strukturell ein und dasselbe. Schön, dass dies andere auch so sehen.


An dieser Stelle sei es vermerkt. Ein für allemal: Kochen ist eine Kunst. Nicht in dem Sinne, dass ein leckeres Viergangmenü schwierig hin zu kriegen sei, nein (ist es nämlich nicht) – sondern in dem Sinne, dass Kochen die exakt selben Abläufe einfordert und so in der Schule und zwar im Kunstunterricht experimentell erforscht werden sollte. Diesen Gedanken trage ich schon seit geraumer Zeit mit mir herum (die Umsetzung scheiterte bisher an einer nicht vorhandenen Grossküche). Kochen als Kunst, Kunst als in einem bestimmten Sinne magischer Prozess.

Meine Trias: Kochen, Kunst und Alchemie. Besonders auf der vierwöchigen Reise durch Nordeuropa bin ich meinen BegleiterInnen ständig damit im Ohr gelegen; habe gequietscht, wenn gewagte Kombinationen auf der Speisekarte standen und habe kritisiert, wenn ein einfaches Gericht unter zuviel Chichi erdrückt wurde.
Gross war nun die Freude, als ich im St. Galler Tagblatt vom neuen Lehrgang Bildende Kunst gelesen hatte. Dort wird gekocht – als Teil des Curriculums! Für "Menschen, die ihr bereits vorhandenes Wissen künstlerisch weiterentwickeln, verfeinern, konkretisieren wollen", so der Artikel. Bei der Malerei wird aus Tubenfarben und Trägermaterial Kunst. Der Prozess ist wichtig: das Wechselspiel von Farbauftrag, Motiv und Komposition lässt einen Code entstehen…

Wie man von Textur beim Essen reden kann, so ist umgekehrt die Kreativittstechnik der Assoziation ein möglicher Anfang für ein Gericht. So beschrieben im Artikel "Alles Kraut und Rüben" im Ressort Reisen der Zeit (28.10.2010). Leider fand ich davon keine Onlineversion, deswegen folgt eine ausführliche Zitation.
Rainer Schäfer stellt in seinem gut recherchierten und detailliert umschreibenden Artikel drei dänische Köche vor, die Abseits der Grosstadt saisonal und terroirbezogen arbeiten. Neben Claus Henriksen (ehemals Souschef im Noma, jetzt Küchenchef im Dragsholm Slot in Horve) und dem molekularen Rasmus Kofoed ("Seine Haare streben künstlerwild vom Kopf"; Geranium2, Kopenhagen) wird auch der "Anarchist unter Dänemarks Spitzenköchen", Thorsten Schmidt, vorgestellt. Schmidt kocht in Arhus. "Hierhin verirrt sich kein Gastrokritiker", meint er, der laut Autor in Kopenhagen bestimmt schon einen Michelin-Stern sein eigen nennen dürfte.
" 'Allein am Strand' heisst eine seiner Kreationen, beim Essen soll man sich fühlen wie ein Neunjähriger, der seine neue Taucherbrille ausprobiert. Die Austern aus dem Limfjord liegen auf einem durchsichtigen Wasserkissen über 'Sand' (geröstetes Schwarzbrot und getrocknete Tannennadeln an Öl von eingelegten Heringen) und Blaumuscheln, als sähe man den Meeresgrund durch eine Taucherbrille. Dazu gibt es einen Salat von Seetang und eine säuerliche Kohlmayonnaise. Für einen Moment ist es wirklich so, als ob man abtauchen würde – in Schmidts Küche entzündet sich immer ein Funken Magie." … "Thorsten Schmidt malt jedes seiner Gerichte, bevor er es kocht, und hängt die Zeichnungen auf. Er will den Norden als Geschmackslandschaft kartografieren."

Diese Bilder hätte ich gerne gesehen. Ein Grund mehr, wieder einmal nach Arhus zu fahren (hier der erste – weitere kulinarische Höhepunkte der Nordeuropareise folgen)!


wood shaved oak tree as ice cream with salted shavings kopi



Anmerkung 26. 2. 2012

Artists who are interested, like LF, in the physical being of people are necessarily interested in food. Francis Bacon used to insist that we a r e meat, and– though one might disagree about whether there is more to the question – that contention is undeniably true. Moreover, painting – especially the thick and luscious variety often employed by painters who attempt to evoke the texture and weight of bodily existence – often uses techniques that verge on the culinary. Rembrandt, it has been discovered, used a liaison of oil and egg yolk to thicken those wonderful dollops of pigment that he used to recreate the bulge of a nose or the corrugations of a forehead. In other words, he was painting with a variety of mayonnaise. S. 18
'I decided that a layer of paint on the surface of a canvas is just the same as an object in the room. You know, the deliciousness of it, the thing that makes you love the painting, is a physical thing, the building up of layers. You want to eat it, as if it were ice cream or something.' S. 96

Martin Gayford: «Man with a Blue Scarf– On Sitting for a Portrait by Lucian Freud», Thames & Hudson, 2010

1 Kommentar:

  1. Danke Schöngeist, den eine Wohltat ist es, vertraute Vorschläge sich zu Gemüt zu führen und den nötigen Esprit dahinter zu verspüren. Trias, ein Konzept mit Gusto, ist definitiv empfehlenswert und muss weiterverfolgt werden. Wäre schön, wenn Du eine Plattform finden würdest, diese Lehre zu praktizieren. Dafür wünsche ich viel Erfolg und bis dahin weitere tolle Feldstudien.

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