Freitag, 30. Dezember 2011

tief leben

alles mark des lebens aussaugen
(h. d. thoreau: walden)

das bewegendste kunstereignis in diesem jahr fand meiner meinung nach im museum rietberg statt (dicht gefolgt von berlinde de bruyckere im kunstmuseum bern). die ausstellung «mystik – sehnsucht nach dem absoluten» zeigt noch bis am 15. januar 2012 bewegende artefakte christlicher, islamischer und buddhistischer kunst; szenographisch anregend und medial unglaublich aufwändig umgesetzt. unbedingt hingehen!

neben filmausschnitten, infografiken, spielen und audio-video-installationen waren skulpturen, malereien, drucke und eben auch kalligrafien zu sehen. um eine japanische soll es hier im besonderen gehen und zwar – wieder einmal – um deren position zwischen kunst (schreiben) und kochen.


hisamatsu shin'ichi: enso (kreis)

der japanische kalligraf hisamatsu shin'ichi (1887–1980) bezeichnete das nichts als «mark des buddhismus» als «wesenskern des zen» und grundlage seines religiösen lebens und philosophischen denkens. es charakterisiert einen zustand völliger klarheit, indem es keine unterscheidung zwischen subjekt und objekt mehr gibt.
dieser zustand als ausdruck des augenblicks verkörpert der kalligrafierte kreis, denn korrekturen sind nicht möglich. seine analogie in der europäischen kunst findet er in vasaris legende über giotto, welcher papst bonifazius viii einen kreis als probe seines könnens senden liess («es ist genug und nur zuviel»).


hisamatsu shin'ichi: mu (nichts)

der japanische zen-mönch und dichter ryokan schrieb einmal, er könne köche, die wie köche kochen und kalligrafen, die wie kalligrafen schreiben nicht ausstehen. hisamatus nichts ist, fern jeder schönschreibkonvention, mit einem halb getrockneten pinsel gezeichnet – ein ungekünstelter ausdruck von hisamatsus erfahrung.

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