Donnerstag, 23. Juni 2011

streitkräfte



aus der Serie «Armed Forces» von Alex van Gelder, 2011
(Ausschnitt von mir)

Schon auf den ersten Blick sieht man es diesen Händen an: Sie haben gelebt und gearbeitet. Erst auf den zweiten Blick aber wird klar, weshalb Alex van Gelder mit «Armed Forces» ein Coup gelungen ist.

«Armed Forces» nennt der Niederländer Alex van Gelder seine Hommage an die französisch-amerikanische Bildhauerin Louise Bourgeois. Diese besteht aus 18 Aufnahmen ihrer Hände, ihrer 98 Jahre alten Hände – aufgenommen in Bourgeois' Appartment in New York, im Jahr ihres Todes. Zu sehen waren die Fotografien in der Galerie Hauser & Wirth Zürich vom 12. Februar bis zum 14. Mai 2011. Die 48-seitige Publikation erschien bei Ediciones Polígrafa.

Existenz
«Streitkräfte» waren ihr die Hände im wortwörtlichen Sinn. Louise Bourgois erklärte das Thema ihrer künstlerischen Arbeit wie folgt: «The subject of pain is the business I am in. To give meaning and shape to frustration and suffering.»1
Frustration und Leiden entstammen aber nicht dem in der Romantik aufgekommenen und eine lange Zeit gepflegten und konservierten Bild des Künstlers als nicht verstandenem Genie, sondern bestimmten Bourgeois' Alltag: «Mein Vater redete pausenlos. Ich hatte nie Gelegenheit, etwas zu sagen. Da habe ich angefangen, aus Brot kleine Sachen zu formen. Wenn jemand immer redet und es sehr weh tut, was die Person sagt, dann kann man sich so ablenken. Man konzentriert sich darauf, etwas mit seinen Fingern zu machen.»2

Produktion
Und Louise Bourgeois machte viel mit ihren Händen, kannte die Produktionsprozesse. In den späten 1960er Jahren entstanden Skulpturen aus Gips und Latex; Materialien, die gegossen werden und die dann aushärten. Wie Bourgeois erklärt, sind «einige Materialien dafür geeignet, Ideen festzuhalten, aber sie sind nicht für immer und zeigen auch keine perfekte Oberfläche.»3
Ist es heute nicht genau umgekehrt? Besteht die Konzeptkunst eines Jeff Koons nicht genau aus dem Gegenteil; aus der perfekt polierten Oberfläche? Fällt diese in sich zusammen – unlängst geschehen bei Damien Hirsts Hai – wird von einem Produktionsfehler gesprochen. Was steckt dahinter? Wie weit trägt die Idee als Ursprung des Kunstwerkes?

Position
Zur Zeit ist in der Nähe des Bürkliplatzes am Zürichsee Bourgeois' Spinne zu sehen («Maman», 1999): «Die Spinne ist eine Metapher, steht für ihre Mutter, die Weberin war, ähnlich wie eine Spinne», erklärt Bourgeois' Assistent Jerry Gorovoy.4 Ein architektonischer «Mutterraum», der Schutz bietet. Doch als Frau verbleibt Bourgeois lange in einer schwachen Position. Erst spät, 1982, wurde sie (als erste Frau überhaupt) vom Museum of Modern Art in New York mit einer Retrospektive geehrt. Mit ihrem Tod aber endet eine Ära. Van Gelders Verdienst ist es, der Kunstschaffenden, die um ihre Produktionsprozesse wusste, ein Denkmal zu setzen. Seit ihrem Tod fehlt in der Kunstwelt die Position des Selbst-Erarbeiteten, der physischen Auseinandersetzung und damit des Haderns (und Leidens). Warum vermögen wir heutigen nicht mehr, mit unserem Körper für eine Idee einzustehen und sie durch ihn, mit ihm und in ihm zu verteidigen?

1 New York Times online 31.5.2010
2 http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/specials/86946/index.html
3 http://www.tate.org.uk/modern/exhibitions/louisebourgeois/rooms/room06.shtm
4 http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/specials/86946/index.html

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